Mittwoch, 2. September 2015

Gedankenanstoß

Liebe Leserschaft!

Es folgt nun ein Artikel, der mir am Herzen liegt und ich hoffe, dass er fleißig von euch gelesen wird und euch auch nachdem ihr den Computer ausgeschaltet habt noch begleiten wird.
Außerdem soll sich im folgenden niemand angegriffen fühlen, ich werde versuchen einige unserer Verhaltensweisen und Meinungen zu hinterfragen und bin mir bewusst, dass auch mein Verhalten oft nicht korrekt ist.


Weltwärts ist ja für bekanntlich ein Lernprogramm. Das kann ich nur bestätigen, denn das letzte Jahr war für mich sehr bereichernd.
Ein Ziel von weltwärts ist aber auch, dass nicht nur die Freiwilligen selbst lernen, sondern ihr Wissen in ihr Umfeld weitertragen.
Zurück in Deutschland freue ich mich euch von meinen Erlebnissen zu erzählen und euch daran teilhaben zu lassen. Aber in Wirklichkeit hat eure Weiterbildung bereits begonnen! Dieser Blog ist nämlich nicht nur dazu da euch mit hübschen Bildern zu bespaßen, sondern ich mache das gezielt um euren Horizont und euer Wissen zu erweitern!

Medien und Meinungsverzerrung


Die wenigsten Europäer werden in ihrem Leben einmal auf den afrikanischen Kontinent südlich der Sahara reisen. Deswegen wird das Wissen über diese Region hauptsächlich aus folgenden Kanälen erworben: Fernsehen, Bücher, Zeitschriften, Radio, Zeitung, Schulbildung, Erzählungen anderer usw. Also hauptsächlich aus den gängigen Medien. Wie wir alle wissen stehen diese Medien in großer Konkurrenz zueinander und am besten verkäuft sich was am interessantesten ist und oft auch am meisten schockt. Deshalb ist die Berichtserstattung oft sehr verzerrt, das betrifft alle Themen und so auch die Informationen über Ereignisse in afrikanischen Ländern.

Aufgrund dieser Medien-Problematik wird unser Afrika-Bewusstsein also vor allem von Extrem-Ereignissen geprägt. Das können negative Berichterstattungen sein, wie z.B. Bürgerkrieg, Hunger, Aids, Malaria, Ebola, Flüchtlingslager, Piraterie, Umweltverschmutzung, Kindersoltaten, Warlords, Milizen, Missbrauch von Religion, Vergewaltigung, Menschenrechtsverletzung, Diktatur, Kolonialzeit, Betrüger, Missbrauch finanzieller Mittel, unwegsame Straßen, marode Infrastruktur usw.
Es gibt aber auch positive Informationen: exotische Pflanzen, wilde Tiere, Wüste, Dschungel, Steppe, Traditionen, Musik, Tanz, fremde Kulturen, Reiseziele, etc.
Und was ist jetzt so schlecht an den positiven Berichten? Sie sind romantisierend, betonen das andersartige und stellen das krasse Gegenteil der Schock-Nachrichten dar. Die beide beschriebenen Bereiche gehen sehr ins Extrem und stellen vor allem eines nicht dar:
Den Alltag: Schule, langweilige Büros, Filialen einer Bank oder Versicherung, Supermärkte, öffentliche Verkehrsmittel, asphaltierte Straßen mit normalen Kleinwägen, Mode, Sport, Familie, Liebe, Ifrastruktur, Universität, Krankenhaus, eben alles was ziemlich gewöhnlich und uninteressant ist.
Wer möchte liest den folgenden Artikel, der eine ironische Anweisung gibt, wie man als Journalist über den Afrikanischen Kontinent berichtet:  Hungersnöte sind gut

Auf unserem Vorbereitungs- und Zwischenseminar wurden wir auch auf diese Problematik aufmerksam gemacht und dazu angehalten mit unseren Berichten alternative Informationen weiterzugeben und mehr über das alltägliche Ostafrika zu erzählen.

Nun muss ich mir aber auch an die eigene Nase fassen, denn ich glaube nicht, dass mir das bisher so gut gelungen ist. Es sieht vielleicht nicht danach aus aber so ein Blog ist ziemlich arbeitsaufwendig, Bilder sortieren, auswählen, bearbeiten, hochladen und beschriften, dafür brauche ich  ca. 2 Tage pro Eintrag. Deshalb beschränke ich meine Einträge auf die großen und meistens auch außergewöhnlichen Ereignisse in Ruanda. Außerdem bezweifle ich, dass die meisten von euch so lesefreudig sind, dass sie detailgetreu wissen möchten, wie genau die Leute morgens ins Büro gehen und abends heimkommen, dass dienstags immer die Müllabfuhr kommt, wie und wo man am Wochenende feiern geht, usw.
Nun wird euch hoffentlich klar, dass es den afrikanischen Alltag gibt und es hier in der Stadt grob gesehen oft gar nicht so anders ist wie in Deutschland.

Dennoch sind die beiden Länder und Kulturen natürlich nicht gleich und man könnte sagen in Ruanda ist auch nicht alles Gold was glänzt.
Es ist sauber aber die Umwelt ist sehr belastet,
die Regierung hat viel bewirkt und wird von vielen unterstützt aber man kann von keiner Demokratie sprechen,
es gibt große Supermärkte in der Stadt und Hungerbäuche auf dem Land,
im August fand die Kigali Fashion Week stadt aber vielen fehlt das Geld für die Schuluniform,
es gibt immer Strom (auch auf dem Land) aber die Wasserversorgung ist nicht ausreichend,
hohe Bürogebäude schießen aus dem Boden aber es gibt wenig Jobs (vor allem für Akademiker).

Diese Kontraste nenne ich, da ich mir bewusst bin, dass man von Afrika oft nur schlechte Nachrichten hört, weshalb ich versuche oft so positiv wie möglich von Ruanda zu reden und verschweige negative Aspekte. Somit verschiebe auch ich eure Wahrnehmung vielleicht in die andere Richtung, was auch nicht gut ist.

Was ich hier an Erlebnissen aufnehme und an auch weitergebe ist sehr subjektiv und basiert nur auf meinen eigenen Erfahrungen, die einen kleinen Teil des Lebens in Ostafrika wiederspiegeln. Auch auf andere Medienberichte trifft dies zu. Deswegen will ich euch dazu aufrufen die Informationen, die euch erreichen kritisch zu sehen und euch vor Augen zu halten, dass z.B. ich nur einen winzigen Teil von Afrika sehe, weshalb Aussagen nicht für den ganzen Kontinent veralgemeinert werden sollten.

Afrika: Land oder Kontinent?

Eine weitere schlechte Angewohnheit ist es, immer über Afrika zu sprechen und Aussagen zu treffen, die scheinbar auf den ganzen Kontinent zutreffen. "In Afrika ist das so und so..."
Allerdings ist Afrika kein Land sondern ein Kontinent mit 54 verschiedenen Ländern zwischen denen es viele Gemeinsamkeiten aber auch bestimmt genauso viele Unterschiede gibt, weshalb wir uns vor Verallgemeinerungen hüten sollten. Außerdem ist Afrika riesig, diese Karte zeigt, wie groß: Die wahre Größe Afrikas

Gerade vor meiner Abreise habe ich erfahren wie wenig uns das bewusst ist, denn immer wieder wurde mir die Frage gestellt "Aber hast du denn in Afrika keine Angst vor Ebola?"
Dazu lässt sich sagen: Ruanda ist 4.500 km vom Dreiländereck Liberia/Guinea/Sierra Leone entfernt. Deutschland ist davon 4.800 km entfernt. Drum hab ich genauso wenig Angst vor Ebola wie ihr.

Ein anderes Beispiel: ich gehe bei Dunkelheit draußen joggen und wenn ich am Wochenende spät nachts heimkomme gehe ich auf dem Nachhauseweg alleine durch die Straßen.
Eventuell schockt das jetzt einige von euch aber das ist nur ein weiteres Beispiel wie verallgemeinernd man von Afrika denkt. Man kann auch nicht Aschaffenburg mit so manchem Viertel in Berlin gleichstellen nur weil beides in Deutschland liegt.
Ruanda ist ein sehr sicheres Land und in Kigali kann man sich sicher fühlen wenn man nicht in die dunkelsten Seitenstraßen geht. Aber das selbe gilt ja auch für deutsche Großstädte.

Alltagsrassismus / Stereotypen

Ein anderes Thema auf das ich bei meinen Seminaren sensibilisiert wurde ist Alltagsrassismus. Dieser Begriff beschreibt, dass sich Rassismus oft in unseren alltäglichen Verhaltensweisen versteckt, zum Beispiel in unserer Sprache, Witze, dem Umgang mit Menschen aus einer anderen Kultur oder in Medien. Hier ein paar kurze Beispiele: 22 Momente, die dir Alltagsrassismus in Deutschland zeigen

Alltagsrassismus zu erkennen kann für uns nicht immer leicht sein, denn es handelt sich um etablierte Meinungen/Ausdrucksweisen, die schon seit langer Zeit in einer Kultur bestehen.
Zum Beispiel das Wort "Schwarzafrika". Es ist in der (von Rassismus geprägten) Kolonialzeit entstanden und basiert auf der Gemeinsamkeit der Hautfarbe der Afrikaner. Allerdings ist das Erscheinungsbild nicht dazu geeignet eine Kultur oder Eigenschaften zu beschreiben. "Schwarz" unterstreicht den Gegensatz zu "Weiß", womit Kolonialisten/Rassisten eine Abgrenzung zum zivilisierten/erhabenen Europa geschaffen haben. Hinzu kommt, dass die Farbe schwarz oft eine negative/düstere Symbolik darstellt, was hier auf den afrikanischen Kontinent übertragen wird. Andere rassistische Begriffe sind z.B. Eingeborene (wird für unterlegene Zivilisationen verwendet, Weiße werden nicht als Eingeborene bezeichnet, stattdessen: Einheimische), Stamm (herabwertend für Volk), normal (die Einteilung in normal/unnormal ist stark subjektiv, oft wird die eigene Norm als einzig richtige angesehen anstatt das eigene Weltbild zu erweitern).
Neben solchen Begriffen gibt es auch viele Umgangsformen, die als Alltagsrassismus klassifiziert werden können. Zum Beispiel vermeintliche Komplimente wie "Du sprichst aber gut Deutsch" oder Verallgemeinerungen "Asiaten sind immer fleißig". Ist zwar nicht böse gemeint aber dennoch wird derjenige auf seine Andersartigkeit aufmerksam gemacht/beschränkt.
Wenn man jemanden mit ausländischen Wurzeln fragt "Gehst du mal in deine Heimat zurück?" erwartet man bestimmt nicht die Antwort "Was, nach Bielefeld? Nee!".

Was für uns aus dem Unterbewusstsein geschieht und nicht hinterfragt wird kann andere Menschen verletzen: das Fokussieren auf Unterschiede und Andersartigkeit, man will Menschen in Schubladen stecken. Wenn man in Gesprächen immer wieder auf seine Andersartigkeit und fremden Wurzeln aufmerksam gemacht wird ist es unmöglich sich in einer Gesellschaft heimisch und zugehörig zu fühlen. Das sogenannte Othering, eine Einteilung in "wir" und "sie" findet statt. Diese Einordnungen sind oft negativ, verallgemeinernd und finden oft unter der Annahme der eigenen geistigen Überlegenheit statt. Es wird eine Wertung vollzogen, die eigene Gruppe sei "normal", die anderen sind üngewöhnlich, exotisch, abnormal.

Hier fällt es mir leicht, solche Verhaltensmuster zu erkennen und zu hinterfragen, denn gerade bin ich diejenige, die "anders" ist. Das kann anstrengend sein, man möchte ja einfach nur dazugehören und in keine Sonderposition gesteckt werden, denn Sonderbehandlungen basieren ja nicht auf meinem Charakter und meinen Errungenschaften sondern nur auf meiner Herkunft. Man wird z.B. immer gefragt, wie lange man hier bleibt unter der Annahme man ist nur ein Besucher und lebt nicht wirklich dauerhaft in diesem Land. Für Europäer, die hier einen festen Wohnsitz gefunden haben und nicht wie ich nach einiger Zeit wieder gehen stelle ich mir das sehr schade vor, immer an das anders-Sein erinnert zu werden und sich somit nicht vollends der Gemeinschaft zugehörig zu fühlen.

Übrigens sehe ich hier ein interessantes Phänomen: in Deutschland beschwert man sich ja oft, dass manche Ausländer sich nicht in die Gesellschaft einfügen, sondern ihr soziales Umfeld größtenteils aus Menschen besteht, die aus der gleichen Region/Kultur kommen. Hier sehe ich jedoch, dass es Menschen, die aus Europa oder Nordamerika kommen nicht viel besser machen. Hier wird man als "expat" (=im Ausland lebender) bezeichnet und man kann eine deutliche Gemeinschaft dieser expats sehen, man kennt sich untereinander, hilft einander aus, verbringt die Freizeit zusammen. Das ist zwar nicht sehr gut aber dennoch verständlich.
Interessant ist auch, dass man hier als expat bezeichnet wird, während Menschen aus Afrika/Arabien/Asien in Europa als Immigranten bezeichnet werden. Auch diese Bezeichnungen sind nicht ebenbürtig und wurden aufgrund von Rasseneinteilungen etabliert.

Was hierbei außerdem sichtbar wird, ist, dass viele Einheimische hier nicht besser sind im Umgang mit Mitbürgern aus einer anderen Kultur, jedoch weniger vor einem post-kolionialistischem, rassistischem Hintergrund. Wir alle müssen lernen angemessen mit Mitmenschen mit Migrationshintergrund umzugehen. Das heißt keine positive oder negative Sonderbehandlung und jeder sollte genauso behandelt werden wie ein einheimischer Mitbürger auch.

Wir müssen also unsere Verhaltensmuster überdenken und eine Person nicht auf der Basis des Aussehens, familiären Hintergrunds, Nationalität, etc. bewerten, sondern den ganz persönlichen, einzigartigen Charakter dieser Person kennenlernen und die Beziehung darauf begründen anstatt sich alter Vorurteile und Schubladen zu bedienen. Im Endeffekt erweisen sich diese Vorurteile nämlich doch meistens als falsch und hinderlich für die offene Entfaltung einer Freundschaft.


Vielen Dank fürs Lesen!
Nun bin ich nur noch zwei Wochen hier aber mit dem Blog solls das noch nicht gewesen sein. Es gibt noch etwas übers Essen, der Eintrag ist schon vorbereitet und wird innerhalb der nächsten Woche hochgeladen also schaut bald wieder vorbei!

Zuletzt noch eine verdiente Aufheiterung, zwei witzige Links mit tieferem Hintergrund, die ihr euch nicht entgehen lassen solltet:
Lustiges Video, das Entwicklungshilfe und stereotypische Darstellung afrikanischer Kinder veräppelt: Let's save Africa!
Vorurteile illustriert: Weltkarte


P.s.: Wen die ganze Thematik und ähnliches interessiert, kann sich diese Links durchlesen:


Dazu möchte die Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung feststellen, dass der Begriff „Schwarzafrika“ ein kolonialistischer ist und auf einem rassistischen Konzept der Einteilung der Welt und ihrer BewohnerInnen beruht, da er die angebliche Gemeinsamkeit auf die (vereinheitlichend „Schwarz“ oder eine andere angenommene) Hautfarbe seiner BewohnerInnen bezieht. Es ist nicht sinnvoll, bei Menschen von „Rassen“ zu sprechen, da das Erscheinungsbild nichts mit Kultur oder Eigenschaften zu tun hat. “Rasse” ist kein biologisches, sondern ein soziales Konstrukt, der Begriff ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur obsolet: ein „Rassebegriff“, der sich auf morphologische Merkmale wie Hautfarbe, Form von Haaren oder Lippen, Abstände zwischen Nasen und Ohrläppchen und ähnlich abstruse Besonderheiten stützt, gilt alleine schon als rassistisch, da er im Allgemeinen dazu benutzt wurde und wird, bestimmte Gruppen abzuwerten und/oder zu benachteiligen. Die morphologischen Merkmale von Menschen sind nur einige wenige, die genetischen hingegen 1000e. Die genetischen Gemeinsamkeiten (DNA) zwischen einzelnen Angehörigen Europas und einzelnen Angehörigen Afrikas oder Chinas sind nicht selten weit größer als die Gemeinsamkeiten zwischen zwei afrikanischen und zwei europäischen Individuen. - See more at: http://www.univie.ac.at/tmb/?p=1730#sthash.caESbHsR.dpuf
 Offensichtlich und zugedeckt - Alltagsrassismus in Deutschland

Lösungsansatz für Flüchtlingskrise?

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Picture of Africa in German mass media

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